Die Toten Hosen – Laune der Natur Tour 2018 – Das grosse Saisonfinale Düsseldorf

Merkur Spiel Arena, Düsseldorf – von Philipp Holstein

Sie sind erst fünf Minuten auf der Bühne, es ist das zweite Lied, sie bringen „Auswärtsspiel“, und die Fans schwenken mächtige Fahnen. Menschen werden von anderen Menschen auf Händen getragen und bis zur Bühne weitergereicht. Es wogt in der Halle, Körper in Aufruhr, Bewegungsdrang, Energietransfer, Hingabe: „Ole ole ole ola, uns ist egal, wer heute siegt. / Ole ole ole ola, weil es um was anderes geht.“

45.000 Menschen singen mit, und man hört dieses Konzert bereits jetzt nicht mehr mit den Ohren, sondern mit dem Solarplexus. Campino läuft hochtourig, er rennt hin und her, das hier ist etwas Besonderes, die Kraft will irgendwohin, und deshalb tritt er so nah wie möglich an die erste Fan-Reihe und macht diesen Sprung, seinen Sprung: den berühmten Spagat in der Luft. Es tut schon beim Hinsehen weh, aber es ist toll. Euphorie. Jubel. Die Hütte brennt.

Die Toten Hosen spielen das erste von zwei ausverkauften Konzerten in der Merkur Spiel Arena. Es ist das Finale ihrer Tournee, die mehr als eine Million Menschen gesehen haben. Die Band beginnt enorm druckvoll, sie fahren mit durchgedrücktem Gaspedal. Sie wissen: Die Hosen in Düsseldorf, das ist wie die Beatles in Liverpool. Oder Grönemeyer in Bochum. Musik an dem Ort, für den sie gedacht ist. Die Ankunft des Jetzt. „Ich will versuchen, nicht kitschig zu werden“, ruft Campino, und dann redet er gar nicht erst weiter, sondern beginnt das Lied „Das ist der Moment“.

Die Band breitet ihre Biografie vor dem Publikum aus. Sie spielt „Bommerlunder“, das „Altbierlied“ und „Bonnie und Clyde“. Auf gigantischen Leinwänden liegen Fotos von früher. Immer wieder gibt es magische Momente wie jenen in „Altes Fieber“. Campino steht auf einem Monitor, er trägt ein weißes Hemd, er sieht aus wie die Galionsfigur eines Schiffes, und unter ihm ist das Meer der Fans in Aufruhr. Er hält dem Publikum das Mikrofon hin, es nimmt ihm das Lied aus der Hand, es singt die Zeile „es geht nie vorüber“, und er steht regungslos da. Obwohl das nur ein Augenblick ist, eine kleine Absence, wirkt diese Szene wie in Bernstein gegossen. Als rauschten gerade die 36 Jahre seit Band-Gründung vor dem inneren Auge des Sängers vorüber. Dafür wird man Rockstar.

Sie drücken „Hier kommt Alex“ und „Pushed Again“ ins Stadion, und direkt danach öffnet Campino sein Herz und erzählt von Rieke, die damals beim 1000. Konzert der Band zu Tode kam. Er erzählt, wie ihn das belastet hat und dass ihm sein Vater geholfen habe, mit dem er sich zuvor doch eigentlich nicht so gut verstanden hatte. Dann singt er „Draußen vor der Tür“, das Lied für seinen alten Herrn, und jeder, der ein Handy dabei hat, lässt es leuchten. Auch wenn das Dach der Arena an diesem Abend nicht offen wäre, man hätte nun trotzdem den Himmel gesehen. Das Lied „Disco“ unterbrechen sie, weil Campino Sorge hat, dass beim Pogen ein Fan unter die Räder gekommen ist. Als es Entwarnung gibt, spielen sie das Lied ansatzlos zu Ende.

Es wird indes nie wehmütig, auch nie agitatorisch. Sie covern „Halbstark“ und „Schrei nach Liebe“ von den Ärzten (gemeinsam mit Sammy Amara von den Broilers), „Should I Stay Or Should I Go“ von The Clash und „TNT“ von AC/DC. Nach 80 Minuten sagen sie „Lebt wohl“, aber sie kommen noch drei Mal zurück, weil: So ist das halt, wenn man heimkehrt und viel zu erzählen hat. Man steht im Flur und will eigentlich gehen, aber man kommt nicht los, weil einem dies und das noch einfällt und es gerade so schön ist. Sie spielen „Freunde“ und „An Tagen wie diesen“ und ein Lied des gestorbenen Schlagzeugers Wölli.

Da oben stehen Freunde, das nimmt man ihnen ab. Andi und Breiti. Und Kuddel, zu dem Campino oft wie von einem Magneten gezogen zurückkehrt und durchtankt, um neuerlich auszuschwärmen. Und Vom, der die Band entschlossen nach vorne trommelt und wirkt, als hätte man ihm Motoren unter die Achseln geklemmt. Ein guter Geist weht durch die Halle, Kumpelromantik, Menschenliebe. Die meisten Lieder handeln ja auch von der Freundschaft und vom Zusammensein, und „Steh auf“ widmen sie der Fortuna. Und dann gibt es Lieder wie „Sascha, ein aufrechter Deutscher“, die politisch sind und schon älter, aber gerade wieder aktuell. An ihnen erkennt man, warum es gut ist, dass die Toten Hosen die populärste Band Deutschlands sind. Die Sache mit Kollegah und dem „Echo“,dann Chemnitz und #wirsindmehr: Ihre Musik wirkt als antifaschistischer Schutz-Schall.

Heimspiel. Heimvorteil. Heimerfolg. Nach zweieinhalb Stunden verabschieden sie sich mit „You’ll Never Walk Alone“. Luftschlangen, Konfetti, Wunderkerzen. Eines Tages müssen wir sterben. An allen anderen aber nicht.

 

Text: Philipp Holstein

Fotos: Mike Rupprecht