Leonard Cohen – World Tour 2013

28.06.2013, Mannheim SAP Arena

20:10 – 21:30, 21.50 – 23:40 (!) Uhr
Was mich immer wieder sehr beeindruckt hat, ist wie oft Leonard Cohen voller Ehrfurcht und Achtung den Hut vor seinen Musikern zieht. 9000 Zuschauer feiern ihn in der ausverkauften SAP Arena in Mannheim.

Ja, Mr. Cohen, wahrscheinlich denkt Ihr Publikum daran, dass dies die letzte Gelegenheit sein kann, ein Konzert von Ihnen zu erleben. Doch nein, Mr. Cohen, es jubelt und klatscht nicht, weil es – wie Sie mit sanfter Ironie mutmaßen – einen alten Mann bei Laune halten will. So lange jemand solche Konzerte geben kann, ist es allemal umgekehrt: Sie halten Ihr Publikum bei Laune. oder eigentlich viel mehr als das.
Seit Leonard Cohen, im Jahr 2008 war das, auf die Bühne zurückgekehrt ist, weil er Geld verdienen musste (seine Managerin hatte ihn betrogen), tourt er auch wieder regelmäßig durch Deutschland. In Oberhausen hat er vor wenigen Tagen begonnen, die Mannheimer SAP-Arena war jetzt die zweite Tourstation.

Mächtige Texte, süßeste Melodien

Fast ist es, als wäre die Zeit stehen geblieben: Wie vor fünf Jahren sind es fast drei Netto-Stunden Konzert, wie vor fünf Jahren sind großartige Musiker dabei (die mit Zuneigung vorgestellt werden), wie vor fünf Jahren wirkt nichts wie Routine, obwohl es bei einem bald 79-Jährigen Routine sein muss.Das Alter hat Leonard Cohen nicht nachlässig gemacht. Und man möchte in diesem Konzert meinen, dass er schon in jungen Jahren Lieder geschrieben hat, um sie im hohen Alter noch so schön, so passend singen zu können. „Bird on a Wire“ zum Beispiel, Rückblick und Bitte um Vergebung. Oder „Who by Fire“, melancholische Litanei der Todesarten und -gründe. Einst war Cohen der ideale Begleiter einer turbulenten Pubertät (jedenfalls der der Rezensentin), heute ist er der zeitlose Sänger der Lebensenttäuschungen und -hoffnungen, der Anklage wie auch Ergebenheit.Es sind mächtige Texte, voll mit biblischen Motiven, mit Tod und Schmerz und Bitternis, aber er hat sie in die süßesten Melodien gefasst. Leonard Cohen schien immer ein Dichter gewesen zu sein, der auch Musik machte. Mit dem Abstand der Jahre staunt man, wie er doch ein gutes Lied nach dem anderen geschrieben hat: Nicht nur ein einprägsames nach dem anderen, sondern auch solche, die bleiben und bleiben.

Leonard Cohen, der Musiker, beginnt mit einem Walzer – „Dance me to the End of Love“ –, und er hätte auch mit einem Walzer geendet – „Take this Waltz“ –, wenn er nicht großzügige Zugaben gegeben hätte. Mit „Choices“, dem einzigen fremden Titel, erinnert er mittendrin an den im April gestorbenen Country-Sänger George Jones. Er startet so flott in „The Partisan“ hinein, sein Lied über den französischen Widerstand, dass ein Teil des Publikums mitzuklatschen versucht (und glücklicherweise gleich wieder aufhört).

Er scheut sich nicht vor den Hymnen, nicht vor „Tower of Song“ oder „Hallelujah“, auch wenn er seine Hallelujahs inzwischen abkürzen muss. Seine Stimme hat an Kraft, Volumen, Höhe verloren, wie sollte es auch anders sein, aber immer noch hat sie diese waldhonigdunkle Wärme, sind die Lieder tadellos phrasiert. Und es mag Einbildung sein, aber der Rezensentin schien es, als sei sie im Laufe des Konzerts jünger geworden.

Fotos: Mike Rupprecht

Abgründe und Dunkelheiten

Zum Musiker Cohen gehört, dass er seine Mitmusiker zu wählen weiß. Man fühlt sich geradezu verpflichtet, sie zu nennen, weil auch er ihnen liebevollen Respekt zollt. Und weil sie allesamt großartig sind: Der Bassist und musikalische Leiter Roscoe Beck, der Keyboarder Neil Larsen, der Gitarrist und Lautenspieler Javier Mas und der Gitarrist Mitch Watkins, Rafael Gayol, Percussion, Alexandru Bublitchi, Violine. Sharon Robinson, mit der er auch einige Lieder geschrieben hat, ist weit mehr als Background, ebenso die Webb-Schwestern Charley und Hattie.„If it be your Will“, singen sie, wenn der Abend dann fast vorbei ist, und dass Hattie ihre und ihrer Schwester Engelsstimme auf der Harfe begleitet, erscheint zwingend. Wer da, oder kurz vorher bei „Going Home“, keine feuchten Augen bekommt, der hat kein Herz.Leonard Cohen weicht den Emotionen, auch dem Pathos nicht aus, aber auch seine rührendsten Lieder haben Kanten und harte Ecken, Abgründe und Dunkelheiten. Wenn er an eine solche Stelle kommt, an der zum Beispiel davon die Rede ist, wie die Armen doch immer abgezockt werden oder wie der nächste Krieg mit Sicherheit kommen wird, öffnet er seine beim Singen meist geschlossenen Augen und wirft einen scharfen Blick – ja, eigentlich stets nach oben, wo vielleicht sein jahrelanger Ansprechpartner sitzt.Allemal spielt Gott eine Rolle in den Liedern des Leonard Cohen, allemal klopfen Engel an die Tür – nein, und das ist der Cohen-Unterschied, sie kratzen an ihr wie ausgesperrte Tierchen („Amen“).Immer mehr Lieder, die von Lebensbilanzen und vom Tod handeln, scheint er ins Programm zu nehmen. Aber er wird nicht weinerlich und nicht kleinherzig, stattet sie vielmehr mit leiser Ironie aus, so wie er schon 1988 in „Tower of Song“ herrlich spottete über seine „Gabe der goldenen Stimme“. Es könnte so weitergehen, mögen also die Engel noch lange draußen an der Tür kratzen. Denn Leonard Cohen gibt noch große, großartige Konzerte. Hallelujah.

Text: Sylvia Staude, https://www.fr.de/kultur/musik/engel-kratzen-11264898.html

Setlist

Dance Me to the End of Love | The Future | Bird on the Wire | Everybody Knows | Who by Fire | Darkness | Choices (Billy Yates cover) | Amen | Come Healing | Lover Lover Lover | Anthem || Tower of Song | Suzanne | Sisters of Mercy | Heart with No Companion | Waiting for the Miracle | The Partisan | Alexandra Leaving (Gesang: Sharon Robinson) | I’m Your Man | Hallelujah | Take This Waltz

Zugaben: So Long, Marianne | Going Home | First We Take Manhattan | Famous Blue Raincoat | If It Be Your Will (Gesang: Webb Sisters) | Closing Time | I Tried to Leave You

 

Ticketpreis: 65,85 EUR (Block: 105, Reihe: 22)